Kurz:
Bei der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen ist, sind die Kindeswohlkriterien zu benennen. Es ist derjenigen Sorgerechtsregelung der Vorzug zu geben, von der zu erwarten ist, dass sie im Sinne des Kindeswohls die bessere Lösung darstellt. Bei der prognostischen Beurteilung sind folgende Gesichtspunkte bedeutsam, wobei die Gewichtung nicht schematisch vorgenommen werden kann:
Förderungsgrundsatz und Erziehungseignung
Bindungstoleranz der Eltern
Bindungen des Kindes
Kontinuitätsgrundsatz
Kindeswille
COESTER hat in seiner Habilitationsschrift „Das Kindeswohl als Rechtsbegriff“ (Augsburg 1982 / 1983) eine umfassende Studie vorgelegt. Demnach lassen sich folgende Kindeswohlkriterien, wie sie sich aus Gesetz und Rechtsprechung ergeben haben, unterscheiden (S. 176 – 203):
COESTERs rechtliche Kindeswohlkriterien:
I Rechtliche Aussagen zum Kindeswohl
- Kontinuität und Stabilität von Erziehungsverhältnissen.
- Die inneren Bindungen des Kindes.
- Die positiven Beziehungen zu beiden Eltern.
- Die Haltung der Eltern und des Kindes zur Gestaltung der nachehelichen Beziehungen.
- Der Kindeswille: a) als Ausdruck der Selbstbestimmung; b) als Ausdruck der Verbundenheit und c) als Ausdruck des persönlichen (emotionalen) Wohlbefindens
II Maßstäbe der umgebenden Rechtsordnung
- Die Erziehungsziele der Selbstentfaltung und Anpassung.
- Der Vorzug des partnerschaftlichen Erziehungsstiles.
Quelle: https://www.sgipt.org/forpsy/kw_krit0.htm
Bei der allein am Kindeswohl auszurichtenden Frage, welchem der Elternteile die elterliche Sorge zu übertragen ist, sind die Erziehungseignung der Eltern – einschließlich ihrer Bindungstoleranz –, die Bindungen des Kindes – insbesondere an seine Eltern –, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie der Kindeswille als gewichtige Kriterien zu berücksichtigen (vgl. BGH FamRZ 2011, 796; 2010, 1060 m. Anm. Völker; 1990, 392; 1985, 169). Außer diesen Aspekten sind je nach den Begleitumständen des Falles weitere Gesichtspunkte wie Erziehungsbereitschaft, häusliche Verhältnisse und soziales Umfeld einzubeziehen (vgl. BGH FamRZ 1985, 169). Diese Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander; jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (BGH FamRZ 2011, 796; 2010, 1060; 1990, 392). Denn sie stehen über den allüberstrahlenden und letztentscheidenden (vgl. BVerfGE 56, 363; BVerG FuR 2008, 338) Begriff des Kindeswohls in innerer Beziehung zueinander und können sich gegenseitig verstärken oder aufheben (vgl. BGH FamRZ 1985, 169; siehe zum Ganzen und den diesbezüglichen Maßstäben eingehend Senatsbeschlüsse vom 16. November 2011 – 6 UF 126/11 – FamRZ 2012, 884 und vom 20. Januar 2011 – 6 UF 106/10 –, FamRZ 2011, 1153 m.w.N.).
Zu berücksichtigen sind dabei auch die durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten Elternrechte Konkordanz der Grundrechte) Senatsbeschlüsse des Bundesgerichtshofs (BGH) BGHZ 211, 22 = FamRZ 2016, 1439 Rn. 20; BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19 f. mwN). Gleiches gilt auch für das Umgangsrecht […]
Maßstab für die zu treffende Sorgerechtsentscheidung ist also allein das Kindeswohl. Bei der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen ist, ist eine Abwägung der o.g. Gesichtspunkte vorzunehmen (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671 BGB Rn. 84):
– der Förderungsgrundsatz, nämlich die Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung (Erziehungseignung) und Betreuung,
– der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse abstellt,
– der Wille des Kindes, soweit er mit seinem Wohl vereinbar ist und das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist sowie
– die Bindung des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister
(vgl. zum Ganzen Palandt/Götz, BGB, 76. Aufl., § 1671 Rn. 27 ff., 38 ff., 40, 41; Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671 BGB Rn. 52 ff., 64 ff., 68 ff., 78 ff.).
Zum Fördergrundsatz gehört die Erziehungseignung und damit auch die sogenannte Bindungstoleranz. Mit Bindungstoleranz wird die Fähigkeit eines Elternteils bezeichnet, die Bindungen des Kindes zum anderen Elternteil, bzw. zu anderen wichtigen Personen, zu respektieren und ihre Aufrechterhaltung wenigstens zu tolerieren. Fehlende Bindungstoleranz ist ein Zeichen für eine eingeschränkte Erziehungsfähigkeit und kann in schweren Fällen eine Gefährdung des Kindeswohls nach § 1666 BGB darstellen.
Die einzelnen Kriterien stehen – darauf sei nochmal hingewiesen – allerdings nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2011, 796; FamRZ 2010, 1060).
Hierzu auch (Randnummer 25): http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=77519&pos=0&anz=1
Ein häufig sich in Trennungsfamilien auftretendes Kriterium des Kindeswohls ist v.a. der Mangel an Bindungstoleranz, bzw. Umgangstoleranz oder Umgangsloyalität. Was das ist, beschreibt sehr gut der Beschluss 25 UF 93/17 des OLG Köln oder dieser Beschluss 10 UF 19/18 des OLG Köln.
Kurz gesagt, der betreuende Elternteil stört den Kontakt und den Umgang des nicht betreuenden Elternteil mit dem gemeinsamen Kind.
Bindungstoleranz wird auch hier gut erläutert
Zum Kindeswohl auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Kindeswohl